Rede zum Haushalt 2017

16.12.2016 – Geschrieben von Herbert Goldmann (Fraktionsvorsitzender der Fraktion B90 / Die Grünen im Kreistag Unna)

Herr Landrat,

liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte mich bei Ihnen vorab entschuldigen, wenn ich heute ausnahmsweise meine Redezeit etwas überschreiten sollte. Ich verspreche Ihnen, das wird nicht wieder vorkommen.

Eigentlich leben wir doch in einer völlig verrückten Zeit;
die meisten der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen waren noch nie so günstig wie jetzt – wir sind am Rande der Vollbeschäftigung, die Exportüberschüsse erreichen Rekordneviau, viele der Bundesländer und der Bund machen Milliardenüberschüsse, die Steuereinnahmen sprudeln; die öffentlichen Haushalte bekommen ihre Kredite zum Nulltarif – und auf der anderen Seite leisten wir uns eine dramatische Zunahme der Armutsentwicklung nicht nur bei den Alten, sondern insbesondere bei den Kindern.

Fast zwei Millionen Kinder wachsen in Familien auf, die von staatlicher Grundsicherung leben – NRW ist hiervon besonders betroffen; auch der Kreis Unna.

19.7 % der unter 18 jährigen gehören dazu – jeder fünfte Jugendliche.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wer in einer Hartz-IV-Familie aufwächst, läuft Gefahr Zeit seines Lebens auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein, wir sprechen von zementierter Armut – Hartz IV wird zunehmend von Generation zu Generation vererbt.
Auf die Gesamtbevölkerung bezogen, sind die Werte der Region noch schlechter. Wir leisten uns faktisch eine soziale Spaltung ohne Zukunftsaussichten.

Armut ist für viele im Kreis Unna bittere Realität geworden – schauen Sie sich mal den Zulauf bei den Tafeln an – und wir sind eines der reichsten Länder der Welt.

Es heisst immer: Kinder sind unsere Zukunft. Charles Dickens hat mal gesagt: „Kinder erleben nichts so hart wie Ungerechtigkeit“.

Es gehört auch zu unseren Aufgaben, liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf hinzuwirken, dass man den Kindern und Jugendlichen nicht auf den ersten Blick ansieht, ob sie eine Zukunft haben oder nicht, weil sie arm sind, eine andere Hautfarbe oder Religion haben oder aus einem Hartz-IV –Haushalt kommen.

Viele Jugendliche – viele Eltern haben mittlerweile – so scheint es – aufgegeben.

Die Folge ist aus meiner Sicht unübersehbar – Politik, politisches Engagement ist vielen Menschen fremd geworden; unser politisches System hat sich verändert.

Spätestens seit den Massenkundgebungen von PEGIDA und der Gründung der AfD mit ihren Wahlerfolgen wird uns das deutlich vor Augen geführt.

Heute sind große Teile der Gesellschaft von einer tiefen Unsicherheit über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen getragen – eingebettet in zunehmendes Misstrauen gegenüber den politischen Strukturen, aber auch gegenüber den Medien als Ganzes, insbesondere gegenüber der Presse.

Viele junge Menschen lesen die gedruckte Presse nicht einmal mehr, sondern beziehen ihre Informationen aus den sozialen Netzwerken.

Und wir – wir stehen dieser Entwicklung des Misstrauens und des Erstarkens der AfD häufig genug hilflos gegenüber.

Wir erleben aktuell, wie sich unser Selbstverständnis von demokratischen Prozessen und Strukturen, vom Umgang mit- und untereinander entwickelt:

Drohungen und Hasskommentare, rechtspopulistische Aussagen und Aktionen gehören mittlerweile zum Alltag, Übergriffe auf Flüchtlingsheime, offen zur Schau gestellter Hass bei den Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit – die Wahlerfolge der AfD sind Spiegelbild unserer gesellschaftlichen Veränderungen. Und wir – liebe Kolleginnen und Kollegen im Kreistag – schaffen es noch nicht einmal eine von allen politischen Kräften getragene Resolution gegen Fremdenfeindlichkeiten zu verabschieden.

Auf der anderen Seite haben wir eine öffentlich geführte monatelange Diskussion über die Ereignisse der Kündigung einer politischen Geschäftsführung in Unna.

Immer häufiger scheinen Politik und Parteien außerstande zu sein solche Dinge mit Anstand intern zu lösen – machen wir uns also nicht vor, Politik, Parteien und Parlamente haben Vertrauen verloren – nicht nur in Berlin, sondern auch direkt vor unserer Haustür.

Wenn Misstrauen und Schuldzuweisungen die öffentliche Debatte bestimmmen, dann schadet das auch dem politischen System.

***

Und damit komme ich zum Kreistag und zum Haushalt 2017.

Den Haushalt 2016 haben wir – sofern mich meine Erinnerungen nicht täuschen – mit breiter Mehrheit beschlossen und dies – ich formuliere es mal so – trotz Bildung einer sog. GroKo oder „Gestaltungsmehrheit“ von SPD und CDU.

Für meine Fraktion sprechend kann ich sagen, dass durch eine stabile politische Mehrheit im KT die Erwartungshaltung bestand, die eingangs meiner Rede angesprochenen dringenden Themen im Schulterschluß mit der Verwaltungspitze zeitnah anzupacken und in Teilen lösen zu können.

Diese Erwartungshaltung hat sich leider noch nicht einmal ansatzweise erfüllt.

Eines der Beispiele ist der Umgang der Gestaltungsmehrheit im Zusammenhang mit der „Wirkungsorientierten Steuerung“.

Nachdem wir uns auf die einzelnen Handlungsfelder im Rahmen der ersten Sitzung der Strategiekommission im Juni d.J. verständigthatten, hatten SPD und CDU zugesagt, den Prozess mit allen politischen Kräften im Kreistag fortzuführen.

Passiert ist bis heute nichts.

Im Gegenteil – in der Sitzung des Kreistages am 27.09 haben beide Fraktionen ihre Vorstellungen zu den Leitzielen 1: 1 umgesetzt, obwohl allen klar war, dass die vom Rest der Politik gemachten Vorschläge qualitativ besser waren.

SPD und CDU haben unbeeindruckt davon ihre Mehrheit ohne Rücksicht auf Verluste eingesetzt.

Jetzt haben wir – wie von der Verwaltung gefordert – mit den verschiedenen Beteiligten abgestimmte konkrete Vorschläge in dem Themenfeld „Wirtschaft und Arbeit“.

Anstatt das Herz in beide Hände zu nehmen und wie vereinbart verbindliche Regelungen bereits zum HH 2017 zu treffen, möchten sich SPD und CDU erst mal bis Februar 2017 vertagen.
Ich erinnere auch an die Diskussionen in diesem Jahr zu den Anträgen zum Flüchtlingsgipfel, einer Flüchtlingsbeauftragten für den Kreis, zum Landesentwicklungsplan (LEP), zur Internationalen Gartenausstellung (IGA) 2017 und zum Radschnellweg , der nach dem Willen der Gestaltungsmehrheit nicht ein Euro für den Kreis kosten durfte.

Mittlerweile haben wir in Düsseldorf das Straßen- und Wegegesetz NRW in der Form geändert, dass Kommunen unter 80.000 Ew. finaziell außen vor bleiben und das Land die Straßenbaulast übernimmt; andernfalls hätte es bedeutet, dass ein einzigartiges zukunftsweisendes Projekt in Deutschland, das nicht nur europaweit höchste Aufmerksamtkeit erzielt, an dem destruktiven Verhalten der Gestaltungsmehrheit gescheitert wäre.

Ein Projekt, dessen gesamtwirtschaftlicher Nutzen deutlich höher bewertet wird als seine Kosten. Das Straßennetz wird täglich um 52.000 PKW-Fahrten entlastet und demzufolge täglich um 400.000 PKW-Km reduziert bei einer Einsparung von 16.000t CO2.

Ich fasse es mal zusammen:

Der politischen Mehrheit dieses Kreistages fehlt aus meiner Sicht leider jeglicher Mut zur Gestaltung – siehe die Diskussion zur Gesundheitskarte für Flüchtlinge – mit einer Ausnahme – die von der Verwaltung initiierte Rettungs-App ist eine gute und gelungenen Sache – ansonsten Fehlanzeige. Das zeigen auch die aktuellen HH-Anträge und deswegen werden die GRÜNEN nach einer politischen Bewertung den Haushalt 2017 ablehnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das ist in der Sache nicht zwingend: die Verwaltung hat ihre Sache in der Haushaltsplanung und aufstellung – eigentlich wie immer – gut gemacht.

Hohe Transparenz – ein offener und ehrlicher Dialog – und das bei ausnehmend guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Hierfür vielen Dank an die Verwaltung. Heinz Steffen hätte an dieser Stelle früher dazwischen gerufen „Dann stimmt doch zu!“; das könnten wir machen, aber es würde ja nichts verändern. Das unwürdige Spiel von SPD und CDU ginge doch so weiter. Gute Anträge der übrigen politischen Kräfte im Kreistag würden weiterhin nur wegen taktischer Spielchen `mal mitgetragen.

Das Stichwort passt, um drei Sätze zur Situation der Wirtschaftsförderung zu verlieren.
Trotz guter Rahmenbedingunen wegen eines optimalen Zeitfensters ist es wieder einmal nicht gelungen, die Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WFG) des Kreises und das Wirtschaftsförderungszentrum (WZL) der Stadt Lünen zu einer geschlossenen und starken Einrichtung zusammen zu führen.

Lokalpolitischer Egoismus und fehlender Durchsetzungswillen, auch aus den Reihen des Kreistags, haben maßgeblich dazu beigetragen: Interkommunale Kooperation in der Realität! Leider wurde hier wieder einmal eine historische Chance verpasst.

Mein Dank gilt aber dem Landrat und dem Geschäftsführer der WFG – Dr. Dannebom – für ihr engagiertes Auftreten.

Viele Dinge der Verwaltung z.B. in ihrer qualitativen Ausweitung der Öffentlichkeitsarbeit – das hat mir ausgesprochen gut gefallen. Danke auch für die Unterstützung durch den Hellweger Anzeiger.

Dieser Dank gilt auch für die Vor- und Zuarbeit der Verwaltung bei der Wirkungsorientierten Steuerung (WOS) und der Mitteleinstellung für die Waldschule Cappenberg, zur Einführung einer Katzenkastrationspflicht und für Opherdicke; darauf komme ich gleich nochmals zu sprechen.

Leider droht die GroKO all diese Ansätze gleich wieder kaputt zu machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

kann man das Agieren der GroKo zu den bislang aufgezeigten Sachverhalten noch als unzureichenden oder fehlenden Gestaltungswillen und ausgeprägte Mutlosigkeit bezeichnen, so offenbarte die in den letzten Tagen erkennbare Absicht, das Angebot der Eheleute Friesendorf ihr erworbenes Vermögen von weit über einer Millionen in eine unselbständige Stiftung für die Weiterentwicklung des Hauses Opherdicke einzusetzen, abzulehnen. – Ein aus meiner Sicht gestörtes Verhältnis im Rollenverständnis und der Verantwortung gewählter Mandatsträger . –

Und dies nur, weil die zu erwartende Bennenung des bisherigen Leiters des Kulturbüros, Herrn Hengstenberg auf der Seite der Stiftungsgeber, der SPD und CDU nicht gefällt.

Ein solcher Schritt entspricht nicht nur einem legitimen Interesse der Familie Friesendorf, sondern ist insbesondere Ausdruck der besonderen Bemühungen Herrn Hengstenbergs zum Zustandekommen dieses Stiftungsangebotes und seiner Rolle als Vertrauensperson gegenüber der Familie.

Ein solcher Schritt der GroKo ist nicht nur Ausdruck politisch und menschlich niedriger Motive, sondern ein besonderer Affront gegenüber des hehren Angebotes der Familie. Persönliche Animositäten sollen zur Grundlage einer politischen Entscheidung herhalten, mit all den daraus folgenden, nicht nur wirtschaftlichen, Konsequenzen.

Das ist schlichtweg verantwortungslos und schäbig! Und diese Aussage ist noch moderat.

Ein solcher Schritt läuft den Interessen des Kreises zuwider und führt zu einem beachtlichen Schaden – losgelöst von dem vielleicht sogar schon eingetretenen Imageschaden für den Kreis.

Wie Sie spüren, bin ich über diese Absicht der GroKo, eine Stiftungsgründung zu verhindern, nur noch entsetzt.

***

Ich möchte dennoch nicht versäumen mich bei der Verwaltung, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – auch der Kreisgesellschaften – für die vertrauensvolle Zusammenarbeit zu bedanken und Ihnen allen ein entspanntes Weihnachtsfest wünschen – verbunden mit dem Wunsch, noch einmal darüber nachzudenken, weshalb wir eigentlich hier sitzen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Ihr Herbert Goldmann

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